VERNISSAGE
04. Dezember 2004
EINFÜHRUNGSREDE
Dr. Sabine Heilig
AUSSTELLUNGSDAUER
05. Dezember – 26. Dezember 2004
E-Werk, Hallen für Kunst
Eschholzstr. 77
79106 Freiburg
ÖFFNUNGSZEITEN
Do. und Fr. 16:00–20:00 Uhr
Sa. und So. 11:00–17:00 Uhr
Rede zur Ausstellungseröffnung am 4. Dezember 2004
Dr. Sabine Heilig
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Jeutter,
liebe Künstler von maximal,
Die Künstler
maximal – das sind: Isa Dahl, Thomas Heger, Rolf Kilian, Bernd Mattiebe, Rainer Schall, Daniel Wagenblast und Bernhard Walz.
Wie Arbeiter auf einer Baustelle zum Gruppenfoto versammelt, Mitarbeiter eines Industrie-betriebes oder ein Expeditionsteam, sozusagen kurz vor dem Ablegen des Schiffes, präsentieren sich die sieben Künstler auf der Einladungskarte zur heutigen Ausstellungseröffnung. Mit Helm, in Reih und Glied aufgestellt, vor einem vergrößerten Globus im Hintergrund: tatkräftig, zupackend, selbstbewußt, aufgeschlossen, kritisch, allzeit bereit…
„plan-e“ heißt es auf der Karte und man ist verleitet, zu denken, es hätte bereits schon ei-nen Plan A, B, C und D gegeben. Plan E mag ganz banal für den Plan E-Werk, Hallen für Kunst, Freiburg stehen. Oder? Was meinen Sie?
Dass die Begrifflichkeiten der Gruppe keine eindeutigen Interpretationen zulassen, ist künstlerisches Konzept. Bleiben wir dabei: Schon der Name der Künstlergruppe gibt Rätsel auf. Was fällt Ihnen bei dem Begriff „maximal“ ein? Dasselbe wie mir? Maximalertrag, Maximalergebnis, Maximalprinzip, Maximaldosis. Dies sind in der Hauptsache Assoziationen aus dem Wirtschafts- und Finanzleben. Nicht schlecht gestaunt habe ich, als ich am 12. November diesen Jahres die Verlagsbeilage der Augsburger Allgemeinen Zeitung anschaute. „Maximal 2004 – Das regionale Wirtschaftsmagazin“ lautet die Headline. Darunter das Foto eines strahlenden Jungbanker-Pärchens am Laptop, ganz dem Klischee eines gesunden, prosperierenden Wirtschaftssystems entsprechend.
Eine zupackende Aufbruchstimmung vermitteln auch die „Maximalisten“ auf ihrer Einladungskarte.
Mit der überkommenen Vorstellung einer klassischen Ausstellung räumt die Gruppe maximal in ihren Projekten gründlich auf. Und diese haben sich schon zu einer beachtlichen Zahl summiert. Die heutige Ausstellung ist die sechste in diesem Jahr, Gratulation, wenn man bedenkt, dass jeder der sieben Gruppenmitglieder noch das eigene Werk zu managern hat. Im Frühjahr war maximal im Kunstverein Nördlingen zu Gast, dem ich als Vorsitzende vorstehe. „wohnenträumen – identity rooms“, so der Titel der Ausstellung.
„Frisch, frech, frei“, schrieb uns ein Besucher dazu ins Gästebuch. Ein Eindruck der sich aller Orten bestätigen lässt.
Legendär sind bereits die Kunstaktionen der Gruppe. „7 x 24 Stunden“ hieß es in der Galerie Reihe 22 am Stuttgarter Leonhardsplatz 1997, wo 168 Stunden ohne Ladenschluss und Pause Kunst gezeigt wurde. Jeder Besucher wurde mit Video oder fotografisch aufgenommen. Statt ihrer Kunst zeigte maximal im zweiten Teil der Ausstellung dann die Fotos an den Wänden und die Filme auf mehreren Monitoren, alles akribisch mit Datum und Uhrzeit dokumentiert.
In einem weiteren Projekt bauten sie 1999 auf dem Freudenstadter Marktplatz einen unzugänglichen Ausstellungsraum auf, eine Art „white cube“, in den der Betrachter lediglich durch kleine Fenster an jeder Außenseite hineinsehen konnte. Im Innern waren die Kunstwerke an diagonal aufgestellten Stellwänden also nur aus der Distanz zu betrachten („Modell Kunst-verein FDS“).
Seit 1994 tritt maximal mit ihren Projekten und Ausstellungen in die Öffentlichkeit. „…immer wird auch das Ausstellen selbst zum Thema der Ausstellung, die Schau selbst zur Form. Als maximaler Dialog, der über alle Fächer, Ismen und Dogmen hinweg von sieben Künstlern kritisch und konstruktiv geführt wird“, hat Petra Mostbacher-Dix die Gruppe charakterisiert.
Werner Meyer schrieb dazu in einem Katalog: „Die Künstlergruppe maximal lebt und nützt produktiv den Widerspruch zwischen der Hermetik und dem Individualismus künstlerischer Produktion im Einzelnen und dem Kontext Kunst im Allgemeinen, auch und gerade weil kei-ne vermeintliche Avantgarde oder Schule mehr einen Leitfaden in der Gegenwartskunst vorgeben könnte“ (Ausst. Leonberg 2000).
Ohne Frage, die Chancen sind ungleich größer, gemeinsam statt einzeln zu kämpfen (was jeder von ihnen parallel dazu genauso tut). Die Erkenntnis der Vorteile eines gemeinsamen Marketings war ja bereits den „Brücke“-Künstlern bekannt. Wie ihnen geht es auch maximal nicht um einen gemeinsamen künstlerischen Stil oder um eine wie auch immer geartete Ideologie. Ihre künstlerische Vernetzung erfolgte zunächst über das gemeinsame Studium an der Stuttgarter Akademie und über den gemeinsamen Wohnort. Zugleich leitete sie der Wunsch, sich auszutauschen und sich mit dem jeweiligen Werk der Kritik der Anderen zu stellen. Reizvoll sicher auch die Möglichkeit, in der Gruppe Spielarten des Kunstbetriebs auszuloten, die in der Einzelpräsentation nicht möglich wären (zuletzt in: „undercover“ 2004, Verhüllung der Kunstwerke in der Galerie ABTart Stuttgart 2004).
Die Kunstwerke
Die künstlerische Bandbreite innerhalb der Gruppe ist groß. Lassen Sie mich kurz die einzelnen Positionen vorstellen.
Die runden Leinwände von Isa Dahl sind abstrakt und expressiv gemalt. Man meint, wie durch einen Focus in ein dichtes Pflanzengewirr zu schauen, den Dingen ganz nah zu kommen, die Grashalme zu spüren. Bewegung pur, innerhalb und außerhalb der Leinwand.
Die Bildwelt von Thomas Heger wird von Gefäßen bestimmt (hier sind es auch geometrische Körper); seine Malerei von der Farbe. Er schichtet und ordnet Gläser unterschiedlicher Art und stellt sie in subtilen Farbräumen zueinander in Beziehung. Die realen Dinge treten räumlich vor- und zurück, verschwinden und kommen wieder.
Rolf Kilians Werke sind geometrisch abstrakt, zurückhaltend in der Farbgebung, manchmal monochrom. Sie atmen Raum, sind nicht fest umrissen, da sie die Bildgrenzen sprengen. Perspektive und Blickwinkel verändern sich ständig.
Bernd Mattiebe schüttet die reine Farbe auf die Leinwand, „gelb trifft rot trifft blau“. Wahrer Farbenrausch, strahlende Bilder, Kreise, Oval, Balkenformen. Alles schwingt und vibriert, strotzt vor Kraft.
Rainer Schall erzählt Bildergeschichten. Ungegenständliches steht neben Figürlichem. Fiktion und Realität sind verwoben. Anregungen bieten ihm die Welt der Comics, die Medien, der Alltag. In jedem Bild gibt es mehrere Handlungsebenen; wie in einem Organismus greifen die einzelnen Teile ineinander.
Die Holzskulpturen von Daniel Wagenblast sprechen eine deutliche Sprache. Die Kettensäge hat ihre Spuren hinterlassen, die farbige Fassung dient der Charakterisierung des Objekts. Seine Werke sind komisch, erschreckend, anrührend, schön. Doch nichts ist normal und selbstverständlich.
Bernhard Walz arbeitet mit der Gewalt der Farbmassen. Wie Plastilin drückt er die Breie auf das Bild. Die Pinselschwünge bewegen sich weiter. Die Farben beginnen zu schmecken. Neben abstrakten, objekthaften Werken entstehen neuerdings leuchtende Landschaftsmotive in dünnflüssigerer Farbe.
Die Ausstellung
maximal, das heißt, Stilpluralismus. Einig sind sich die sieben darin, das Publikum in der Auseinandersetzung mit Kunst herauszufordern, es ihm nicht einfach zu machen; seine Wahrnehmung auf die Probe zu stellen. Die eigene künstlerische Arbeit wird dabei dem Gesamtkonzept untergeordnet. Der Ausstellungsraum dient als Bühne, über die Identität von Kunst nachzudenken.
plan-e, E-Werk, Hallen für Kunst, Freiburg, eine besondere Situation: A. ein Industriedenkmal, ehemalige Lebensader der Stadt. B. ein Kulturzentrum, Vernetzung der künstlerischen Disziplinen. C. Standort von über 20 Künstlerateliers, kreative Ideenschmiede. D. Politikum, „strukturelle Spaltung des Hauses“.
Tritt nun „plan-e“ in Kraft?
Die sehr hohe, rund 500 qm große polyvalente Halle mit den umlaufenden Rundbögen an den Wänden wird von maximal durch ein gekreuztes Stellwandsystem in vier Räume oder besser Bereiche gegliedert. Ein Gang ist dadurch entstanden. Hier finden sich die bunten Schutzhelme der Einladungskarte wieder. Jeder markiert seinen Besitzer über das darunter befindliche Kunstwerk.
Ein Röhrensystem aus stabilen Papprollen verteilt sich über den ganzen Raum: Fließen hier Energie, Strom, Wasser oder Informationen?
Wohnliches ist entstanden. Ein gemachtes Bett lädt zum Schlafen ein, in den Sesseln läßt es sich bequem machen, das bunte Gartenensemble aus rotem Metalltisch und farbigen Stühlen weckt Erinnerungen an vergangene Sommerfreuden. Entspannt vom Sofa aus betrachtet rückt der alte Globus auf dem Biedermeiertischchen ins Zentrum der Betrachtung. Dinge des Alltags sind überall verstreut zu finden, ein Fahrrad, ein Paar Taucherflossen neben einer Zinkwanne (in Nördlingen lagen sie wie Hausschuhe vor dem Bett) und sonstige, wenn auch schon etwas in die Jahre gekommene Requisiten aus dem häuslichen Bereich. Die Kunstwerke an den Wänden und im Raum stehen den Dingen des alltäglichen Lebens gegenüber und umgekehrt.
Wo befinden wir uns? In einem Museum für Kunst und Design, in einer Ausstellung, in einer Wohnung? Wer wohnt hier? Sollen wir so wohnen? Ist dann die Kunst Dekoration zum Leben oder umgekehrt das Alltägliche Beiwerk zur Kunst?
Was hier passiert, ist, analog Duchamp, die permanente Neuschreibung der Bedeutung der Dinge. Ästhetisierung des Alltäglichen, Nobilitierung des Banalen und nicht zuletzt die ironische Geste sind Teil dieses künstlerischen Konzepts von maximal.
Thomas Wagner schrieb in der FAZ über die epochale Leistung Duchamps: „Die Dinge sind nicht länger bloße Dinge oder Zeichen guten Geschmacks; künstlerisch animiert geben sie Auskunft über die Verhältnisse in der Welt“ (in: Das 20. Jahrhundert. Welt der Extreme. S. 72). Hat Duchamp die allgemeine Ordnung der Dinge durcheinander gebracht, so baut sich maximal mit ihnen ihr eigenes Bezugssystem, in einer Welt, die mehr und mehr den festen Boden unter den Füßen zu verlieren scheint.
Gerne folgen wir ihnen auf diesem Weg. Hätten wir die Helme auf dem Kopf, wären auch wir vor möglichen Gefahren geschützt. Neugierig, interessiert, aufgeschlossen, sind wir bereit zu neuen Erfahrungen. Sollen wir, die Besucher, uns zu einem Gruppenfoto aufstellen?
Wenn nicht, dann wünsche ich Ihnen jetzt anschließend noch viele neue Erlebnisse und gute Gespräche über die Kunst und der Ausstellung und der Gruppe maximal einen großen Erfolg.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
© Dr. Sabine Heilig, Nördlingen, im November 2004